Am 23. September 1862 heiratete Tolstoi die achtzehnjährige Sofja (Sonya), die Tochter des kaiserlichen Hofarztes Andrei Jewstafjewitsch Behrs (Andreas Gustav Behrs; 1808–1868).
In den folgenden Jahren schrieb er die monumentalen Romane Krieg und Frieden (1862–1869) sowie Anna Karenina (1873–1878), die seinen literarischen Ruhm begründeten. In seinem Tagebuch hatte er Mitte der 1850er Jahre notiert: „Es gibt etwas, was ich mehr als das Gute liebe: Ruhm.“
Mit seiner großen Anerkennung begann für Tolstoi eine Phase der Orientierungslosigkeit. Er fühlte sich „am Abgrund angelangt“. Als Beteiligter an der Volkszählung im Jahr 1882 in Moskau nahm er unter den Arbeitern ein Elend wahr, das jenes der Bauern noch übertraf. Tief erschüttert versuchte er der Landflucht entgegenzuwirken, indem er Hilfe für von Missernten betroffene Bauern organisierte.
Seine Sinnsuche erstreckte sich auf immer weitere Bereiche. So verzichtete er auf Rauchen, Alkohol und die Jagd („grausame Vergnügungen“). Er ernährte sich vegetarisch und erklärte, der Mensch müsse die Fleischnahrung aufgeben, wenn er sich moralisch weiterentwickeln wolle, ...
„Die Armut der Leute und die Leiden der Tiere sind furchtbar“, hatte er schon 1857 in sein Tagebuch geschrieben.[5]
Tolstoi setzte sich wiederholt und oft erfolgreich für politisch und religiös Verfolgte ein, ...
Dieser und auch der in westlichen Kirchen praktizierten, den Kriegsdienst bejahenden Glaubensausübung stellte er die schlichten Lehren Jesu gegenüber. Hierzu übersetzte er die Evangelien erneut ins Russische. Als deren Kern betonte er dabei die Nächstenliebe sowie den Appell, dem Bösen ohne Gewalt zu widerstehen.
Auf seine Achtung im Ausland folgte seine Ächtung im Inland. Seit 1882 unterstand er polizeilicher Überwachung. Meine Beichte sowie Worin mein Glaube besteht wurden mit ihrer Veröffentlichung sofort verboten. Über ihn wurde sogar das Gerücht verbreitet, er sei geistesgestört.
Kurz vor seinem Tod hatte ihm Mahatma Gandhi, der sich bereits in seiner Jugend auf Tolstoi bezogen hatte, sein kleines Buch Hind Swaraj („Indische Selbstverwaltung“) geschickt, eine Broschüre gegen den britischen Kolonialismus, in dem er nach Tolstois Grundsätzen das tugendhafte Leben ohne Besitz im Gegensatz zu den kapitalistischen Prinzipien von Wachstum und wirtschaftlichem Fortschritt propagiert und seine Satyagraha-Lehre eines gewaltlosen, aber aktiven Widerstands darlegt.
Neben staatlichen Willkürmaßnahmen wie der Hausdurchsuchung 1908, bei der alle auffindbaren Texte konfisziert wurden, verschärften sich auch familiäre Konflikte. Da seine Frau es ablehnte, die in seinem Testament dem russischen Volk vermachten literarischen Werke als gemeinsame Besitztümer des Volkes anzusehen,[8] verließ Tolstoi mit seinem Arzt und seiner jüngsten Tochter die Familie zu einer letzten, spektakulären Reise in Richtung Süden. Auf dieser Reise in einem offenen Zug erkrankte er an einer Lungenentzündung und starb am frühen Morgen des 20. November 1910 im Haus des Bahnhofsvorstehers Iwan Osolin in Astapowo (seit 1918 Lew Tolstoi, heute in der Oblast Lipezk) – umlagert von der Weltpresse. Zwei Tage später wurde er in Jasnaja Poljana begraben.
Gerhart Hauptmann urteilte über ihn: „Tolstois Taten, das sind seine Schriften, und diese zu sehr Geschenke des Genius, als daß sie vorbildlich sein könnten. Vorbildlich ist aber Tolstois Menschlichkeit und seine kristallreine Gesinnung. Lebte er heute, er [...] würde zum Frieden rufen, zum wahren Frieden, mit gewaltiger Stimme.“[14]
Der Roman (Anna Karenina) steht thematisch (Ehe/Ehebruch) neben anderen bedeutsamen realistischen Romanen in Europa, was zeigt, wie wichtig das Sujet in dieser Zeit war. Madame Bovary von Gustave Flaubert, Effi Briest und L’Adultera von Theodor Fontane können in der Epoche des Realismus am Ende des 19. Jahrhunderts zum Vergleich herangezogen werden.
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